Alltag??!

Sonntag
7:00 Uhr, gefühlt noch mitten in der Nacht. Ich werde wach, warum den bloß? Ach ja, es klopft, und zwar nicht nur einmal, sonder gleich duzende Male mit Händen und Füßen wie verrückt gegen unsere Türe. Geht es um Leben und Tod? Nein, das sind nur ein paar kleine Mädels, die einfach Lust haben, in unserem Zimmer zu spielen statt in ihrem. Aber das können sie auch noch später, also schlafe ich weiter!
9:00 Uhr, schon besser. So langsam stehen Inez und ich auf und wir frühstücken.
11:00 Uhr, Zeit zu planen, was der Tag so bringt. Wir fangen erst mal an, ein bisschen Unterricht zu planen für die Schule. Wir malen die neuen Vokabeln auf große Blätter, korrigieren Hefte, machen Arbeitsblätter…
13:00 Uhr. Huch, das dauert aber lange…immer noch am Unterricht planen. Jetzt schnell mal schauen, ob jemand in Skype zum Telefonieren online ist und dabei ja nicht den großen Mädels, die inzwischen Haare glättend, sich schminkend oder sonst was tuend in unserem Zimmer chillen zeigen, dass das Internet doch tut. Denn wenn doch, dann komme ich heute zu gar nix mehr, weil sie alle nur „ganz kurz, schnell“ in facebook was schauen müssen :).
14:00 Uhr, es wird Nachmittag, auch in Panama. Die Mädels wollen mit uns einen kleinen Ausflug machen. Da kommen sie endlich Mal aus der Einrichtung raus. Das geht nur mit uns „Alemanas“ oder mit der Schwester, die hat aber nie Zeit und Lust. Aber Inez und ich sind gerne mit ihnen unterwegs. Okay um drei Uhr solls losgehen.
kurz vor 15:00 Uhr, gleich geht’s los. Oder doch nicht? Die Mädchen sind nämlich gerade ach so beschäftigt mit Fernsehschauen, Hausaufgaben machen oder sonst was. Sie sagen „Wir haben keine Lust, heute nicht.“ Gut, dann eben nicht, man kann sie ja nicht zu ihrem Glück zwingen.
17:00 Uhr, ja wie die Zeit vergeht. Die Mädels kommen zur Tür hineingestürmt. „Las uns gehen, wo bleibt ihr, komm wir gehen raus!“ „Ach wie, jetzt doch? Häh, gerade eben wollten sie doch gar nicht?“, frage ich mich leicht amüsiert. Um halb 7 wird es dunkel, um 7 müssen alle Mädchen wieder hier sein und um zur Fußballwiese zu gelangen, läuft man eine Stunde. Das lohnt sich doch gar nicht!! Aber wir wollen mal nicht so sein, Flippflopps an, Tüte geschnappt und los.

Gruppenfoto *cheeeeeeese*
17:30 Uhr Tüte? Naja, es geht Mangos pflücken und zwar unreife! Ganz grüne, aus denen macht man Mangosalat mit Salz und Essig. Schmeckt besser als es sich anhört, aber ich mag die Reifen trotzdem lieber.

Suchbild: Wer findet die reife Mango?
19:00 Uhr, pünktlich! Wir alle trödeln verschwitzt, aber vollzählig wieder im Mädchenwohnheim ein. Das Fußballspiel wird aufm Hof nachgeholt. Ich blamiere mich wie immer, kann aber nicht aufhören zu lachen, so lustig ist es.Jedoch fehlen die Jungs aus dem Jungsheim. Seit Neustem dürfen die nämlich keine gemeinsame Sache mehr mit den Mädels machen. Keine Ahnung warum, aber schade ist es auf jeden Fall. Und gut, dass das nicht für mich gilt, denn mit den Jungs ist es immer so so lustig. Sind sind unglaublich süß und reißen einen Witz nach dem Anderen. Ungelogen: fünf Minuten ei ihnen und ich liege am Boden vor Lachen. Gibt es ein besseres Heilmittel gegen Heimweh und Abschiedstraurigkeit?
22:00 Uhr, schon spät. So langsam könnte man Richtung Bett gehen, denn morgen wird’s anstrengend. Vielleicht noch ein paar Seiten Tagebuch schreiben und die wenigen Tage zählen, die noch bleiben, bevor ich Panama verlasse. Die vergehen nämlich unglaublich schnell!!

Springbild 🙂
Montag
3:00 Uhr mitten in der Nacht. Schon wieder werde ich wach? Ach wie schön, da hat ja jemand die Musik angemacht, extra das ich schlafen kann. Was gibt es mitten in der Nacht Schöneres, als ein gratis Reaggeaton-Konzert auf voller Lautstärke, so das die Fensterscheiben wackeln.
6:30 Uhr. dideldidididiiiitamtadam [fröhliche Melodie]Hmm, irgendwie bin ich dann ja trotz Konzert noch eingeschlafen. Aber jetzt reißt mich der Wecker aus dem Schlaf. Aufstehen, duschen, anziehen…
7:00 Uhr Aufbruch Richtung Frühstück und Schule
7:01 Uhr Ankunft in der Schule. Ja, Arbeiten und Wohnen ist hier praktisch das Gleiche. Eine Minute Schulweg, das ist doch mal was. Und sobald wir im Essensaal frühstücken, sind wir von Kindern umringt und „arbeiten“ Toast-brotessend. Wahres Multitasking! Wir belustigen die ersten Kinder, die sich darüber lustig machen, das wir Joghurt mit dem Löffel essen. (Wie bitte denn sonst!), geben unserem Unterricht noch den allerletzten Schliff oder versichern Müttern, dass ihre Kinder die Allerbesten sind und sich immer gut benehmen (Äh, ja meistens jedenfalls).
7:20 Uhr die Schüler versammeln sich zur Morgenandacht. Danach geht’s in den Unterricht. Heute fangen wir ne neue Unterrichtseinheit an: „In the Circus“. Ja genau, passend zum ganzen Zirkus den die Schüler immer noch im Klassenzimmer veranstalten, da wimmelt es nur so von Clowns und Raubtieren :). Wobei, nach dem die Klassenlehrerin ausgewechselt wurde, ist es deutlich angenehmer und ruhiger in unserer Horrorklasse.
8:30 Uhr die erste Unterrichtsstunde für Inez und mich heute. Ein Schülerin kommt mir auf der Treppe entgegen und fragt: „Verena, wie lange bist du eigentlich noch da?“ Ich sage „Ich gehe im Juli, das sind noch 2 Monate.“
2 MONATE!!!!!! Was? Wo ist denn die Zeit hin? Gestern warens doch noch mindestens 6, das kann doch gar nicht sein.
Kann es wohl doch! Das heißt, mir bleiben noch genau 8 Wochen hier, bis es wieder nach Deutschland geht.
Zwei Monate, das heißt:
- noch 8x vor dem Zimmerputzen drücken
- noch 8x Dienstagmorgens in den Schulgottesdienst gehen
- noch 8x mit Inez Spätzle machen
- noch 8x mittwochs für 2 Dollar ins Kino gehen
Zwei Monate heißt aber auch: noch unzählige Male
- auf „Goodmorning Students“ ein geschmettertes „Goodmorning Teacher“ zu hören.
- durchs Fenster das Geschehen in der „gefährlichsten Straße Panamas“ zu beobachten.
- Reis und frische Mangos zu essen. Drei mal dürft ihr raten, was mir lieber ist…

Nee, das ist weder Reis noch eine frische Mango, sondern frittierter Fisch und Patacones (frittierte platgemanschte Kochbananen – schmeckt aber lecker)
- von Kindern umarmt zu werden und Briefchen in die Hand gedrückt zu bekommen, auf denen „Te quiero“ (ich mag dich) steht.
- bedauern, dass ich bald gehe.
- mich auf Deutschland, mein Zuhause und meine Familie zu freuen.

im Ureinwohner-Style, orginal Embera-Röcke, nur das die dazu oben ohne gehen…
Ich genieße die Tage mit den Mädchen im Mädchenheim. Fragt jemand, wie viele Mädchen hier leben, werden Inez und ich immer mitgezählt. Ein schönes Gefühl, dazuzugehören und Teil einer großen Familie zu sein. Und bei 14 Mädels findet man eigentlich immer ein paar Mädchen, mit dem man rumalbern oder sich einfach nur über Dies und Das unterhalten kann. Oder ihnen bei ihren Hausaufgaben helfen kann. Oder man kann versuchen ihnen Englisch beizubringen. Was aber irgendwie ziemlich aussichtslos ist. So endet die Englisch-Nachhilfe meist damit, dass ich ihnen die benötigten Sätze oder Wörter übersetzte und aufschreibe oder ihnen den zu lesenden Englischen Text in Spanischer Lautschrift aufschreibe, damit sie am nächsten Morgen in der Schule wenigstens irgendwas vorweisen können. Zu unserer Schande muss man nämlich sagen, dass die meisten Mädchen inzwischen mehr Deutsch als Englisch verstehen. „Guten Morgen“ erkennen sie inzwischen alle und auch Wörter wie „Bis morgen“, „Scheiße“ und „Frosch“ sind schon fest im panamaischen Wortschatz verankert. 🙂

so ein verlängertes 1.Mai-Wochenende muss man doch nutzen: der Vulkan Baru auf 2000m Höhe morgens um 7 Uhr!!
Apropos Wortschatz. Das Spanisch klappt inzwischen sogar ganz gut. So nach 6/7 Monaten hats KLICK gemacht, wie man so schön sagt. Ich bin zwar noch weit davon entfernt fließend oder fehlerfrei Spanisch zu reden, von dem Gedanken habe ich mich schon lange verabschiedet. Aber ich verstehe, das Meiste, was gesagt wird und rede Spanisch ohne groß darüber nachzudenken. Inzwischen stehe ich auch drüber, wenn man mich mal wieder auslacht. Denn manchmal kommen immer noch Sätze aus meinem Mund, die bei genauerem Nachdenken nicht mal ich selber verstehen würde. Wobei, viele würden jetzt wohl anmerken, dass mir das auch auf Deutsch hin und wieder passiert…

Inez und Verena im nationalpark
Blättere ich in meinem Tagebuch zurück, dann erinnere ich mich an viele kleine Momente, die ich darin festgehalten habe, weil sie mich zum Nachdenken, zum Lachen oder zum Traurig sein gebracht haben.
Ein 4-jähriges Mädchen, dass Inez verwundert gefragt hat, warum sie sagt, ihre Mama sei in Deutschland. Ihre Mama sei doch hier neben ihr und dann hat sie auf mich gezeigt. Äh ja, seh ich wirklich schon so alt aus??
Oder Yimara, ein 13-jähriges Mädchen. Als sie erfahren hat, dass ich nur noch zwei Monate da sein werde, hat sie mich umarmt und ungelogen erst 3 Minuten wieder losgelassen. Den ganzen Tag hat sie mich traurig angeschaut und ist nicht mehr von meiner Seite gewichen ist.
8-jährige Kinder, die eine Woche Schulausschluss bekommen, weil sich nicht mal mehr die Psychologin mit ihnen zu helfen weiß. Und kommen sie nach einer Woche wieder, machen sie fast sofort genauso schlimm weiter wie vorher.
Oder unser Ausflug mit den Mädels eines Abends ins Kino. Ein Pfarrer hat uns hingefahren. 12 in seinem Auto auf den 4 noch freien Sitzen, wenn das mal kein neuer Rekord ist! Nachdem wir nach einer halben Stunde Diskussion vor der Kasse uns endlich auf einen Film einigen konnten, hieß es noch Popcorn und Cola kaufen. Ich muss heute noch lächeln beim Gedanken an das Gesicht des Kassierers als wir drei Mädels, die zum Essen holen abkommandiert wurden, 11 Packungen Popcorn bestellt haben 🙂

Playa Las Lajas – einfach gigantisch
Ich genieße jeden einzelnen Tag in meinem neuen Zuhause hier in Panama und freue mich gleichzeitig wie unglaublich auf mein altes Zuhause in Tübingen. Ich weiß, 2 Monate werden länger sein, als ich denke, aber gleichzeitig sind sie auch irgendwie kürzer als ich will.

PS: da hab ich ja noch was vergessen:
– Eigenartige Gesetzte Panamas, die man auch in Deutschland einführen sollte –
* Wenn der Präsident sagt, dass der erste Mai-Feiertag zwecks verlängertem Wochenende auf den Montag, 30. April verschoben wird, dann ist das so und alle müssen am Tag der Arbeit arbeiten.
* Stirbt ein Ex-President Panamas so bekommen ALLE Panamaer und deutsche Freiwillige einen Tag frei !!
Und so genieße ich heute mein zweites verlängertes Wochenende hintereinander 🙂